Kann ein Steuerpflichtiger tatsächlich Steuerhinterziehung begehen, obwohl er richtige Angaben in seiner Steuererklärung macht?

Auf den ersten Blick ist diese Frage nur schwer nachvollziehbar. Denn scheinbar hat ein Steuerpflichtiger erst einmal genau das getan, was der Steuerfiskus von ihm verlangt. Nämlich die Abgabe einer richtigen und vollständigen Steuererklärung. Trotzdem kann es Fälle geben, in denen trotz der Abgabe einer wahrheitsgemäßen Steuererklärtung ein strafwürdiges Steuervergehen angenommen werden kann.

Es gibt in der steuerstrafrechtlichen Fachpresse dazu eine kontroverse Diskussion, wann dies tatsächlich der Fall sein kann. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt vom 10.11.1999, Az. 5 StR 221/99) hat zum Umfang der steuerrechtlichen Erklärungspflicht bereits Stellung vor Jahren bezogen.

Das liest sich dann so:

„Allerdings wird die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls in welchen Fällen der Steuerpflichtige das Finanzamt auf seine von der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung oder der Rechtsprechung der Finanzgerichte abweichende Rechtsansicht hinweisen muß, in der Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutiert (zum Meinungsstand vgl. z. B. Dörn wistra 1992, 241 ff., DStZ 1993, 478, 483 ff. m.w.N.). Auf der einen Seite steht die Ansicht, der Steuerpflichtige müsse im Rahmen der Steuererklärung den typisierten Empfängerhorizont der Finanzverwaltung zugrunde legen und auf jede von ihm vertretene, aber von der Rechtsprechung oder den Richtlinien der Finanzverwaltung abweichende Rechtsansicht hinweisen (vgl. die Nachweise bei Kohlmann, Steuerstrafrecht, 7, Aufl., § 370 AO Rdn. 30.1). Auf der anderen Seite geht die Ansicht, der Steuerpflichtige könne jede Rechtsansicht vertreten, ohne hierauf besonders hinweisen zu müssen, soweit die Auffassung nur „vertretbar“ sei (so z. B. Kohlmann, aaO, § 370 AO Rdn. 30.2 m.w.N.; Dörn aaO). Der Bundesfinanzhof hat die Frage ausdrücklich offengelassen (BFH BStBl 1989 11, 131, 133).“

Der BGH meint zwar, dass es dem Steuerpflichtigen frei steht, jeweils die ihm günstigste steuerrechtliche Gestaltung zu wählen. Nach Auffasung der Richter macht er jedenfalls dann keine unrichtigen Angaben im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn er offen oder verdeckt eine ihm günstige unzutreffende Rechtsansicht vertritt, aber die steuerlich erheblichen Tatsachen richtig und vollständig vorträgt und es dem Finanzamt dadurch ermöglicht, die Steuer unter abweichender rechtlicher Beurteilung zutreffend festzusetzen (BGHSt 37, 266, 284).

Des weiteren wird vom BGH konkretisiert, im welchem Umfang der Steuerpflichtige seinen Mitteilungspflichten nachzukommen hat:

 

„Der Umfang der für den Steuerpflichtigen bestehenden Mitteilungspflichten ergibt sich indes unmittelbar aus dem Gesetz. So steht es dem Steuerpflichtigen nicht etwa frei, den Steuerbehörden aus einem Gesamtsachverhalt nur einen Teil der Tatsachen richtig vorzutragen und sie im übrigen nach Maßgabe einer nicht offengelegten, ersichtlich strittigen eigenen rechtlichen Bewertung des Vorgangs zu verschweigen, obwohl die Einzelheiten für die steuerliche Beurteilung bedeutsam sein können (BGHSt 37, 266, 284 f.). Nach § 90 Abs. 1 Satz 2 AO haben die Beteiligten im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO müssen die Angaben nicht nur richtig sein, sondern auch vollständig. Da sich hinter den mitgeteilten Zahlen die verschiedensten Sachverhalte verbergen können, die für das Finanzamt nicht erkennbar sind, besteht zumindest eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist (vgl. auch BGH wistra 1986, 27, 28; wistra 1995, 69). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die von dem Steuerpflichtigen vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweicht. In einem derartigen Fall kann es ausreichend sein, die abweichende Rechtsauffassung mitzuteilen, wenn deren Schilderung die erforderliche Tatsachenmitteilung enthält.“

 

Hat demnach ein Steuerpflichtiger trotz richtiger Angaben in der Steuererklärung als formalisiertes Abfragesystem zur Erfassung der vollständigen Besteuerungsgrundlagen gemacht, es aber dabei versteckt unterlassen, auf eine abweichende steuerrechtliche Rechtsansicht hinzuweisen oder diese ausreichend kenntlich gemacht z.B. im Wege eines Begleitschreibens mit Abgabe der Steuererklärung, die vorher online an das Finanzamt übersandt worden ist, so können trotzdem Steuervergehen durch den Steuerpflichtigen verwirklicht werden und ein strafbarer Vorwurf unterbreitet und auch geahndet werden.

Der Hinweis des Steuerpflichtigen an seinen Steuerberater, die Steuererklärung bezüglich der angenommenen abweichenden Steuerrechtsmeinung und die sich daraus ergebenden Steuererklärung „möglichst schlank zu halten“, sprich geheim zu halten, führt demnach zu strafbaren Verhalten.

Auch der Steuerberater sollte da nicht mitmachen, wenn er sich nicht einer Beihilfetat an der Steuerhinterziehung zugunsten seines Mandanten strafbar machen will.